Ausgeglichenes Zeitgutkonto- und doch ein Gewinn für beide

Dieses Mal besuche ich das Tandem Gina und Roger. An einem sonnigen Nachmittag betrete ich die Wohnung von Roger in Wipkingen. Lächelnd und gut gelaunt öffnet er mir die Türe und auch Gina erblicke ich direkt im offenen Essbereich, lässig hockend und vertieft über einen Stapel Blätter. Dies könnten auch zwei WG-Bewohner:innen sein, die Stimmung ist vertraut und entspannt. Wir setzen uns in die Sofa- Ecke. Sogleich sind wir in den verschiedensten Themen: Eisbaden, kribbelige Beine, Newsletter- Tracking…Die beiden haben sich viel zu sagen, das ist nicht zu übersehen. Doch wie fanden sie überhaupt zueinander?

Roger, du hattest damals deine Anfrage bei Zeitgut gestellt. Erzähl uns mehr darüber.

R.: Im Sommer 21 suchte ich unter anderem Zeitgut auf. Corona war schon über ein Jahr präsent und beeinflusste auch mein Leben stark. Ich habe die neurologische Erkrankung Narkolepsie und eine straffe Tagesstruktur ist enorm wichtig für mein Wohlbefinden und meine Bewältigung des Alltags. Durch Corona fiel bei mir die Struktur weg, ich wusste z.T. nicht, welcher Wochentag ist. Ich war in einer Krise. Als selbständiger Grafik Designer kenne ich zwar das Arbeiten von zu Hause sehr gut. Aber diese Ausnahmesituation ab März 2020 tat mir – und bestimmt vielen anderen auch – nicht gut und ich wollte etwas dagegen machen.

Was war konkret deine Idee zur Verbesserung deiner Situation?

R.: Ich suchte nach Menschen, die mir – bei mir zu Hause oder nach Abmachung – Gesellschaft beim Arbeiten leisten. Dies mit dem Wissen, dass bereits nur die Präsenz von anderen Menschen mir beim Fokussieren und beim Wachsein hilft. Ich brauchte weder neue Freunde:innen noch fachlichen Austausch; ich suchte nach Leuten, die selbstständig ihr Ding machten und dabei nicht immer allein sein wollten. Ich kontaktierte dafür u.a. Zeitgut und auch Tauschen am Fluss in Wipkingen. Bei Zeitgut fand ich zwei reale Menschen, durch eine Teilnehmerin von Tauschen am Fluss erfuhr ich von einer sehr hilfreichen digitalen Lösung.

Welche ist das?

R.: Die App Focusmate. Sie verbindet Menschen weltweit miteinander, um sich durch die virtuelle Präsenz gegenseitig zu motivieren und besser zu fokussieren. Es ist sozusagen ein virtueller Co- Working Space. Für mich und mein Anliegen ein sehr hilfreiches Tool. Es ersetzt aber nicht den realen Kontakt, weshalb ich es sehr schätze und geniesse, dass Gina jeden Mittwoch bei mir vorbeikommt.

Gina, seit einem Jahr nun gehst du mittwochs zu Roger und verbringst dort deinen Nachmittag. Was hat dich damals gereizt, dies auszuprobieren?

G.: Ich war, als ich von Rogers Anfrage hörte, auch ich eher in einer Tiefphase; ich konnte mich schwer alleine zu Hause motivieren, schob vor allem die unliebsamen Aufgaben “gerne” weg. Mit ein paar Freunden:innen probierte ich bereits das gemeinsame Arbeiten aus, aber es verlief sich immer nach einer Weile. Nicht so mit Roger!

Wie stellt man sich so einen gemeinsamen Nachmittag konkret vor?

G.: Ich komme so um 13.30 zu Roger – meist mit den mir eher lästigen Aufgaben im Gepäck. Diese erledige ich an meinem festen Plätzchen im Essbereich.

R.: Manchmal essen wir gemeinsam einen Zvieri zusammen oder trinken einen Kafi. So wie es sich ergibt. Zwischen uns passt es so gut, weil wir von Anfang an abmachten, immer ehrlich zu sein. Nicht aus Höflichkeit gegen sein/ihr Bedürfnis zu handeln. Das schätze ich sehr.

G.: Den gemeinsamen Austausch mag ich sehr. Wir sind in manchen Dingen sehr unterschiedlich aber haben eine gute Diskussionskultur. So lernen wir voneinander. Da geht im regen Austausch manchmal eine Stunde ratzfatz vorbei!

R.: Die Sympathie macht es aus. Ohne die und eine gute Portion Flexibilität klappts längerfristig nicht. Für mich zumindest.

Und wie regelt ihr das mit den Zeitgutschriften?

R: Wir geben beide unsere Zeit und Präsenz, das Konto ist ausgeglichen. Gina, falls ich vor dir ableben sollte, vermache ich dir in jedem Fall meine Stunden (beide lachen)!